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Held des Alltäglichen - FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung

Wer in diesen Tagen im Fernsehen bei der Darts-WM hängen bleibt, der bekommt einen recht ungewöhnlichen Sport zu sehen. Einen Sport, bei dem überwiegend rundliche Männer, oft gesetzteren Alters, kleine Pfeile auf eine Scheibe werfen; ohne sonderlich viel körperliche Betätigung, dafür aber mit einer beeindruckenden Präzision und Ausdauer. In gewöhnlichen Jahren zudem bejubelt von einem besonders bierdurstigen und ekstatischen Karnevals-Publikum in der Londoner Kultstätte „Ally Pally“. 

Selbst wer dieser Betätigung als seriöser Sportart wenig abgewinnen kann, muss anerkennen, dass sie großen Unterhaltungswert besitzt. Die vielen kleinen Spannungsmomente in den entscheidenden Phasen von Legs, Sätzen und Matches, die Stimmung, die flippigen Charaktere. Wobei unter den vielen extrovertierten Akteuren auf der Bühne auch immer wieder jene Allerweltstypen auftauchen, die sich einfach durch ein besonderes Talent in einer Kneipensportart verbunden mit harter Arbeit in eine exponierte Position gebracht haben.  

Gabriel Clemens ist einer dieser Allerweltstypen. Dieser Durchschnittsmänner (und gelegentlich auch -frauen), die dann aber ganz und gar nicht durchschnittliche Dinge vollbringen. Am Sonntagabend hat er bei der WM in London den Weltmeister Peter Wright aus dem Turnier geworfen. Als erster Deutscher steht er nun im WM-Achtelfinale. Für ein Land, in dem die TV-Quoten-Erfolge von Darts-Übertragungen seit jeher um ein Vielfaches größer waren als die der nationalen Spieler, ist das eine spannende Situation. 

Clemens und seine Kollegen sind besondere Sympathieträger. Auch deshalb, weil sie den Eindruck erwecken, dass sie zum Typus der „Jedermänner“ gehören. Dass sie so aussehen wie Jedermänner nun einmal aussehen. Schließlich tritt man Clemens kaum zu nahe, wenn man feststellt, dass er ein paar Kilogramm über seinem Idealgewicht liegt.

Dazu haben sie vermeintliche Jedermann-Jobs. Der Niederländer Dirk van Duijvenbode etwa, in London einer der Geheimfavoriten, wird „Auberginen-König“ genannt, weil er nebenbei auf einer Auberginenfarm arbeitet. Clemens, aus dem Jedermann-Städtchen Saarwellingen, war Industriemechaniker, ehe er zum Dartprofi wurde. Selbst der erfolgreichste und populärste Dartsprofi der Geschichte, der Engländer Phil Taylor, arbeitete vor seiner Karriere als Metallarbeiter. 

Sie alle sind Ausnahmekönner in einer Sportart, die im Kern so banal erscheint, dass sie von Jedermann genau auf die gleiche Art nachgeahmt werden kann. Das unterscheidet sie zum Beispiel von den Skispringern, die gerade für ihre Vierschanzentournee abheben. Oder von Bobfahrern. Oder von Formel-1-Piloten. Selbst von Radprofis, die Anstiege hochjagen, an denen Normalsportliche ihr Gefährt längst schieben müssten. Clemens und Kollegen erscheinen im Vergleich dazu wie Helden des Alltäglichen. Das verdient Respekt.

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