Serie über den Mordfall Kim Wall: Im Namen des Opfers - DER SPIEGEL
Der Mord an der Journalistin Kim Wall an Bord eines U-Bootes war einer der spektakulärsten Kriminalfälle der letzten Jahre. Die dänische Serie »The Investigation« spart den Täter aus – und ist auch deshalb grandios.
Polizeitaucher im Öresund: Arbeiten bis zur Erschöpfung, um Kim Walls Leiche zu finden
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Folge 5 / TVNOW
Eine junge Frau, die spurlos verschwindet. Ein obskurer Tüftler, der sich als menschliches Monster entpuppt. Ein rätselhafter Kriminalfall mit spektakulären Wendungen. Der »U-Boot-Killer« hielt ab August 2017 die europäischen Medien über Monate in Atem. Peter Madsen war der perfekte Protagonist für eine Story, die reißerischer nicht hätte sein können.
In der dänischen Serie »The Investigation – Der Mord an Kim Wall« fällt der Name Peter Madsen nicht ein einziges Mal. Auch zu sehen ist er nie – weit und breit kein Charakterdarsteller, der den Mörder in den sechs Folgen als verstörend charismatischen Psychopathen gibt. Stattdessen steht mit dem Chefermittler Jens Møller (Søren Maling) ein Mann im Mittelpunkt, für den ein leises Räuspern das Maximum an erkennbarer innerer Regung bedeutet.
Was nicht heißt, dass die Serie nicht spannend wäre, ganz im Gegenteil. Dem steht auch nicht im Weg, dass so gut wie alle Zuschauer wissen dürften, dass Madsen am Ende des Mordes an Kim Wall schuldig gesprochen wird. »The Investigation« ist eben kein gewöhnlicher TV-Krimi. Dieser Sechsteiler spielt in einer anderen Liga.
Drehbuchautor und Regisseur Tobis Lindholm ist ein atemberaubend konzentriertes Krimi-Kammerspiel gelungen, das auf alles Nebensächliche verzichtet und geradezu stoisch nur die Arbeit der Ermittler zeigt. Einzige Nebenschauplätze sind Møllers Bemühungen um Kim Walls Eltern und das Verhältnis zu seiner eigenen Tochter.
Gerade dieser Minimalismus ist es, der das große Drama dahinter umso eindrücklicher zur Geltung bringt. Ein gutes Beispiel dafür ist, wie Lindholm den Medienzirkus zeigt, der den Fall begleitete.
Er zeigt keine wild gewordenen Reporter, keine schreienden Schlagzeilen. Stattdessen schrillt Møllers Handy immer unablässiger. Am Anfang sagt er noch ständig: »Sie sind der Erste, den ich anrufe, wenn ich mehr weiß.« Nach einer Weile nur noch durch zusammengebissene Zähne: »Kein Kommentar.«
Spannend bleibt »The Investigation« durch die verzweifelten Versuche der Beamten, Madsen den Mord nachzuweisen. Im Mittelpunkt steht die Suche nach Kim Walls Leiche. Der Torso ist bald gefunden, aber Kopf und Extremitäten im riesigen Öresund aufzuspüren, bringt die Polizeitaucher bald an den Rand der Erschöpfung.
Kim Walls Eltern (Rolf Lassgård, Pernille August) wollen, dass der Tod ihrer Tochter restlos aufgeklärt wird
Foto: Folge 2 / TVNOW
Rückschlag folgt auf Rückschlag: Im U-Boot finden sich kaum eindeutig verwertbare Spuren, Spürhunde aus Schweden, die unfehlbar Leichengeruch sogar im Meer wahrnehmen können sollen, liefern keinen Fund, und wie sollen Møller und seine Kollegen die Aussage Madsens widerlegen, die Luke des U-Boots sei Kim Wall auf den Kopf gefallen und habe sie getötet?
Tobias Lindholm ist einer der wichtigsten Protagonisten in Dänemarks kleiner Film- und Fernsehproduktionswelt, die immer wieder große Kunst schafft. Als Autor schrieb er Drehbücher zu der Polit-Serie »Borgen« und wurde für sein Script zum Mads-Mikkelsen-Film »Die Jagd« mit dem Europäischen Filmpreis ausgezeichnet. Seine eigenen Regie-Arbeiten wie »Hijacking« und »A War« zeichnen sich durch die Ruhe und Konzentration aus, die auch »The Investigation« zu einem so intensiven Seherlebnis macht.
Neben der reduzierten Form des Erzählens sind dafür auch die wie filetiert wirkenden Bilder und der Schnitt verantwortlich, bei denen Lindholm auf jeden billigen Effekt verzichtet. Die Kamera ist immer sehr nah an den Protagonisten, kühl und klar; die Einstellungen vermitteln ein ständiges Gefühl der Klaustrophobie. Oft wirkt es, als ließen ihnen der schlauchartige Gang im Polizeipräsidium oder das abgedunkelte eigene Wohnzimmer kaum Raum zum Atmen.
Vor allem arbeitet Lindholm mit einem Stilmittel, das im lauten Fernseh-Allerlei eher weniger Beachtung findet: der Stille. Møller und seine Kollegen kommunizieren nur widerwillig und sprechen am liebsten in so kurzen Sätzen wie möglich. Manchmal sagen sie auch gar nichts. Das unterstreicht das Prozessuale des Polizeialltags, das Bemühen, Verbrechen mit größtmöglicher Objektivität aufzuklären.
Aber in diese Stille hinein drängen auch ein wortloses Entsetzen und eine unausgesprochene Trauer darüber, wozu Menschen fähig sind. Da ist »The Investigation« nah bei dem großen Krimi-Melancholiker Henning Mankell, dessen Kommissar Wallander an eben jener Raubtierhaftigkeit des Menschen verzweifelte.
Ein bizarrer Kriminalfall wird so zur großen Tragödie, die dem Leid des Opfers und seiner Familie Raum gibt. Der Name des Täters hat da nichts zu suchen.
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