»Wir müssen genau bis hier trinken«, sagt Janosch und malt eine imaginäre Linie auf die Gläser der beiden Mai Tais, die er uns unaufgefordert bestellt hat. »Dann sind wir nicht zu schnell betrunken.«
Es ist gerade mal zwölf Uhr mittags, wir sitzen in einem Thailändischen Restaurant. Ich habe noch nicht gefrühstückt und bin bereits nach dem ersten Schluck betrunken. Als ich die von ihm vorgegebene Markierung erreicht habe, bin ich kurz vor sternhagelvoll. Er bestellt noch zwei.
»Die Kunst des Saufens: nie ein Glas zu viel trinken (oder zu wenig)«, schreibt Janosch in seinem »Wörterbuch der Lebenskunst«. »Die Seele muss über der Erde schweben wie ein Schmetterling. Mehr nicht. Zum seligen Suff bedarf es eines großen Meisters.«
Gut zehn Jahre ist die Begegnung mit dem großen Meister her, der heute 90 Jahre alt wird. Ich hatte den Auftrag, zur Vorbereitung einer Talkshow ein Interview mit dem medienscheuen Mann zu führen.
»Ich hasse Kameras«, beginnt er das Gespräch. Warum hat er sich dann auf die Sendung eingelassen? Er ist der Autor von »Oh, wie schön ist Panama«, der Geschichte vom kleinen Bären und dem kleinen Tiger, die das Land ihrer Träume suchen und es am Ende in ihrem ursprünglichen Zuhause finden. Keiner weiß besser als er, dass es zu Hause am allerschönsten ist. Er möge bitte nichts zu tun, was er nicht will!
Bitte sagen Sie nicht diesen Namen!
Janosch grinst verschmitzt unter seinem mächtigen Schnurrbart, seine Augen leuchten, er winkt ab. »Natürlich gehe ich in die Talkshow. Nur werde ich dort schweigen.« Das kann ja heiter werden, denke ich und hole pflichtbewusst mein Aufnahmegerät heraus. Vielleicht könnten wir trotzdem vorab ein paar Themen besprechen? Doch das Gerät bereitet ihm genauso viel Unbehagen wie eine Kamera. »Wir können uns auch einfach so unterhalten.«
Das können wir, und weil nun alles egal und die Welt längst verschwommen ist, muss der Kinderbuchautor, der eigentlich Horst Eckert heißt, sich keinen vorhersehbaren Fragen über seine Kindheit aussetzen. Er hat es schon oft erzählt: Vom Aufwachsen in Oberschlesien, seinem trinkenden, prügelnden Vater, der ihn nach dem SA-Sturmführer Horst Wessel benannte – »Bitte sagen Sie nicht diesen Namen! Das trifft mich wie ein elektrischer Schlag!« –, von der lieblosen und ebenfalls brutalen Mutter und den bitterarmen Großeltern, die sich seiner annahmen. Sein Hass auf die Nationalsozialisten ist ähnlich groß wie der auf die katholische Kirche, die ihn bereits als Kind in Angst und Schrecken versetzte und an der er sich seitdem abarbeitet: »Katholisch geboren zu sein, ist der größte Unfall meines Lebens.«
Anstatt sich über die katholische Kirche auszulassen, widmet er sich jetzt seinem Thai-Curry – und dabei dem Buddhismus. Die Buddhisten würden ernste Menschen meiden, meint er. Das Leben sei furchtbar, das Leid groß. Man dürfe es deshalb bloß nicht ernst nehmen, sonst gehe man daran kaputt. Neugierig studiert er die Karte. »Ob wir mal einen anderen Cocktail ausprobieren sollten?« Wie kann ein Mensch, der bereits in jungen Jahren Abscheuliches erlebt hat, so heiter und gelassen sein? Und nach zwei von diesen Cocktails vergleichsweise nüchtern?
Schwarzfahren mit Janosch
»Das Geheimnis liegt im Käsekuchen«, erklärt er mir. Also fahren wir quer durch München zu einem Café, das uns mit eben diesem Kuchen und doppeltem Espresso ins Leben zurückholen soll. Ein Ticket für die U-Bahn brauche kein Mensch, erklärt er fröhlich, als ich nach Kleingeld krame. Ob ihm der Erfolg zu seiner Leichtigkeit verholfen hat? Nachdem das 1978 erschienene Kinderbuch »Oh, wie schön ist Panama« zum Bestseller wurde, hatte Janosch zwar zum ersten Mal in seinem Leben Geld, doch das habe ihm nie etwas bedeutet. »Es gibt nichts Dümmeres als einen toten Millionär«, lautet einer seiner Lieblingssprüche. Kurz nach seinem Durchbruch als Autor bekam er Nierenprobleme, wurde operiert, hatte eine äußerst belebende Nahtoderfahrung und verbrannte all sein Hab und Gut, um 1980 mit weniger als Nichts nach Teneriffa überzusiedeln. Janoschs Leben ist voll von solchen Geschichten, man möchte jede einzelne glauben, doch er bittet selbst darum, ihn einen Lügner zu nennen.
Aber was ist mit der Tigerente, die zu einem Goldesel wurde, seit sie selbst auf Zahnbürsten und Teebeuteln zu Hause ist? Schon um ihre Entstehung ranken sich Legenden – hat Janosch die Idee zur Tigerente geklaut, wie er einst behauptete, oder sie doch selbst erfunden, wie er später einräumte?
Tigerentenleberwurst
»Sie stand einmal für eine kosmische Ordnung. Jetzt steht sie für Leberwurst – das ist ungeheuerlich!« schreibt Janosch mir nach unserem Treffen damals per Mail. Er mag zwar keine Interviews geben, aber er schreibt sehr gern welche, die er ausschließlich mit sich selbst führt. »Als die Tigerente noch im Sinne des Autors für ein philosophisches Prinzip stand, war alles in Ordnung. Der philosophische Hintergrund war einmal: Da ist eine wehrlose Ente ausgeliefert, kann sich nicht wehren, kann wohl auch nicht freihändig denken – also ausgeliefert z.B. an einen Frosch. Der kann mit ihr machen, was er will, er kann sogar vorgeben, sie zu lieben, kann es sogar selbst glauben. Es hört sich ja auch gut an. Die Ente steht also für den Menschen.«
Der willenlose Mensch mag die Tigerente, weil er sich selbst in ihr erkennt, erklärt Janosch. »Außen gibt sich dann der Mensch wie ein Tiger und innen ist er eine Ente. Daher diese Beliebtheit der Ente bei allen, welche diese Eigenschaft haben: innen Ente außen Tiger, es aber nicht wissen wollen. Der Mensch als Holztiger.«
Janosch selbst mag seine Tigerente nicht mehr, schreibt er, nur eins habe er noch vor in seinem Leben: »Mein Werk anzünden. Um es für die kriminelle Gegenseite unbrauchbar zu machen.«
Das Spiel mit dem Kosmos
Wer ist für ihn die kriminelle Gegenseite? Es ist kein Geheimnis, dass der Künstler die Rechte an seinem Werk im Jahr 2000 an die »Janosch Film & Medien AG« verkauft hat. Darüber und über die Folgen für die Vermarktung seines Werkes kann er sich an manchen Tagen in Rage reden, an anderen nur schmunzeln, »weil meine Weltanschauung alles verträgt«. Am liebsten sieht der Künstler sich als Aussteiger in seiner Hängematte liegen, er bezeichnet sich als Ketzer und Anarchisten und ist zugleich überzeugt von einem Zauber, den das Leben bereithält: Man müsse sich einfach etwas wünschen, ohne es zu wollen – und es sofort wieder vergessen. Dann gehe es in Erfüllung: »Ich nenne das Magie und lebe davon.«
Nun ist Janosch 90 Jahre alt geworden – wie viel Magie mag das Alter noch bereithalten? Lange hat er es gelobt: »Von außen gesehen fallen die Zähne und die Haare aus. Beim Fußballspielen knicken die Knie ein, beim Koitieren fällt die Pfeife aus dem Maul, und du kannst dich partout nicht mehr an die schönen Schweinereien in deiner Jugend erinnern. Doch von innen hast du dich noch nie so jung gefühlt.« Möge er heute genau das empfinden. Herzlichen Glückwunsch!
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