
Willi Herren bei der Eröffnung seiner Reibekuchen-Bude in der Nähe von Köln: Fluchtwagen vom Reality-TV
Foto:Julian Meusel/Eibner-Pressefoto / imago images/Eibner
Das Dach seines Foodtrucks hatte er extra noch verstärken lassen, man wusste ja nie. Beziehungsweise: eigentlich doch. Willi Herrens fahrbare Reibekuchenbude, die er vergangene Woche erst eröffnet hatte, sollte ein zweites, solideres Standbein sein, sein Fluchtwagen vom grellverdrehten Reality-TV in die grob geraspelte Wirklichkeit. Doch Herren wollte trotzdem sicherstellen, dass er jederzeit das eben vorsichtshalber stabilisierte Dach seines Frittiertrucks erklimmen könnte, um eines seiner Ballermann-Stimmungslieder zu singen. Er wollte seine Reibekuchen in der Sicherheit braten, dass da immer noch eine Bühne für ihn war.
Man hätte ihm sehr gewünscht, dass er nun als Brutzler, mit leicht gedrosseltem Tempo, die entscheidende Kurve auf seiner persönlichen, ganz realen Heldenreise nehmen könnte. Dieser Bildungstrip ist ja ein klassisches Motiv aller Trash-TV-Formate, von denen er keines der großen ausgelassen hat: Herren war im Dschungelcamp, bei »Promi-Big Brother«, im »Sommerhaus der Stars«, gerade erst bei »Promis unter Palmen«. Seine Biografie passte dabei perfekt in die Transformationsschablone eines idealtypischen Trashformat-Kandidaten: Herren hatte früh Erfolg als Schauspieler, geriet dann an Drogen und ins Wanken, kippte, rappelte sich auf, taumelte erneut – und stand wieder auf. Das sah nicht immer elegant aus, aber wahrscheinlich fühlte man genau deshalb mit ihm mit.
Er hatte das Herz einzuschreiten
Man musste Willi Herrens mitunter auch recht laute TV-Persona nicht lieben, um sich doch aufrichtig für ihn zu freuen, als es zuletzt, freilich oberflächlich und aus der Ferne betrachtet, stabil für ihn zu laufen schien: Die Foodtruck-Idee war keine »Goodbye Deutschland«-eske Spinnerei, sondern klang nach einer guten Idee. Im Krawallformat »Promis unter Palmen« trat er zuletzt beherzt und leidenschaftlich schwulenfeindlichen Auswürfen entgegen, als die meisten seiner Mitkandidaten nur betreten schwiegen. Und bewies damit, dass er zwar meisterlich auf der dramaturgischen, gelegentlich auch schief trötenden und scheppernden Tastatur dieses Genres klimpern konnte, aber eben auch erkannte, wenn Grenzen überschritten wurden. Und das Herz hatte, dann auch einzuschreiten. »Sat.1« will nun aus Pietätsgründen darauf verzichten, die restlichen Folgen auszustrahlen.
Erst vor wenigen Wochen hatte Herren in »Nullzwei – der Köln-Podcast« davon erzählt, wie sehr es ihn schon früh auf die Bühne drängte. Seine Mutter starb jung, neun Jahre war er da gerade. Als einziger Junge spielte er in der Theater-AG seiner Schule und war sofort gefangen, als ihn ein älterer Bruder zum Zuschauertag bei der »Lindenstraße« mitnahm: Die Kulissen und die Kameras faszinierten ihn sofort – und Mutter Beimer, von der er sich ein Autogramm holte.

Seinen ersten Fernsehauftritt hatte er dann Mitte der Achtzigerjahre mit etwa zehn Jahren, Harald Schmidt holte ihn in »WDR publik« auf die Bühne: In jeder Ausgabe dieser Sendung warf Schmidt drei Tennisbälle ins Publikum, wer einen davon fing, durfte vor die Kamera. Dem jungen Willi gefiel sein Mini-Auftritt so gut, dass er fortan immer wieder im Publikum saß – und regelrecht nach den Bällen hechtete, um wieder auf die Bühne klettern zu dürfen. Er wollte so dringend ein Teil dieser Fernsehwelt sein, mopste Blumen aus der Kulisse, um sie den Studiogästen Inge Meysel und Willy Millowitsch zu überreichen, und stellte sich schließlich, noch nicht mal Teenager, erst bei einer Komparsenvermittlung und dann bei »Lindenstraße«-Macher Hans W. Geißendörfer vor. Marie-Luise Marjan, Mutter Beimer höchstselbst also, habe ihm zuvor erzählt, dass die Rolle des schwerst problematischen Schulfreundes von Klausi Beimer zu besetzen sei.
Willis unbedingter Wille überzeugte Geißendörfer, er schrieb einen biografischen Schlenker an die Rolle, die den hörbar rheinischen Einschlag ihres Darstellers erklärte, und Willi orgelte fortan von 1992 bis 2007 in 170 Folgen als serieller Bruchpilot Olli Klatt ein ehrgeiziges Portfolio an Absturzarten durch: Als jugendlicher Neonazi zündete er ein Flüchtlingsheim an, vertuschte Lisas Pfannentotschlag an Pfarrer Matthias Steinbrück, versuchte sie anschließend zur Prostitution zu nötigen und jonglierte mit gestohlenen Handgranaten. Regelmäßig schlingerte Herrens Figur mit solchen Manövern aus dem bürgerlichen Lindenstraßlerleben, aber Olli Klatt tauchte immer wieder auf, kam immer wieder zurück, zumindest das hatte er mit seinem Darsteller gemein. 2007 wurde Herren nach wiederholten Drogenausfällen aus der Serie geschrieben, zum Abschied baute man ihm eine Brücke in die Wirklichkeit: Olli Klatt strebe auf Mallorca eine Karriere als Stimmungssänger an, erklärte man, und tatsächlich tat Willi Herren genau das.
Unverstellte Menschlichkeit
Schon 2004 hatte er am Dschungelcamp teilgenommen, den dritten Platz belegt und dabei regelmäßig Schlager angestimmt. Für viele treue »Lindenstraße«-Fans fühlten sich die Serienfiguren vertraut wie leibhaftige Nachbarn an, durch Herrens Trash-TV-Auftritte gewann man nun schnell das Gefühl, auch die Person dahinter zu kennen. Die war, wie echte Nachbarn eben auch, nicht immer pflegeleicht, pendelte mitunter zwischen Kölscher Frohnatur und Wutbatz, weinte und brüllte – und lachte wieder. Herren war dabei stets ein wertvoller Kandidat, weil er gleichzeitig routiniert und ahnungslos zu sein schien: Er kannte natürlich die Mechanismen dieser Sendungen, ließ sich aber immer wieder von ihnen überwältigen und zeigte Szenen unverstellter Menschlichkeit, manchmal anstrengend, machmal anrührend. Er hatte sich die Fähigkeit bewahrt, noch aufrichtig entsetzt zu sein – etwa über die Ekligkeiten, mit der Michael Wendler im »Sommerhaus« seine deutlich jüngere Freundin zur Schau stellte.
Bereitwillig zeigte Herren selbst im Fernsehen immer wieder seine Blessuren. Im vergangenen Jahr rührte er im ansonsten eher grob angelegten Treuetest-Format »Temptation Island VIP« als aufrichtig verletzte, butterweiche Seele, nachdem seine Frau Jasmin in seiner Abwesenheit seine Nutella-Sucht ausgeplaudert hatte. Herren war tatsächlich anfassbar geblieben, nicht abgezockt, auch wenn er in der Vergangenheit schon reichlich dunkle Momente vom Fernsehen ausleuchten ließ – als sollte vor den Kameras wieder gekittet werden, was dort lädiert worden war. Für »Explosiv« ließ er sich 2008 von RTL beim Entzug in einer Suchtklinik begleiten, im »Sat.1«-Frühstücksfernsehen erzählte er unter Hypnose, wie er einmal unter Tabletteneinfluss in der Unterhose durch St. Anton gelaufen sei. Als er sich 2012 für eine ZDF-Doku filmen ließ, habe er das Kamerateam immer wieder aufgefordert, gerade dann schonungslos draufzuhalten, wenn er betrunken und am Ende war, sagte er bei Markus Lanz. Acht Entziehungskuren hatte er da schon hinter sich. »Wissen Sie heute, wofür Sie leben?«, fragte ihn in dieser Sendung Mitgast Nina Ruge. »Für meine Kinder«, sagte Willi Herren, seine Tochter und seinen Sohn, und für seine Enkelkinder.
Er hoffe immer noch darauf, dass er doch noch einmal für eine ernsthafte Rolle engagiert werde, sagte er im Köln-Podcast. Ruhiger sei er inzwischen geworden, auch gern mal für sich, auch wenn er das Fernsehen natürlich noch »liebe und lebe«. Nur das Getöse der Branche brauche er nicht mehr: »Ich habe jede Party in meinem Leben gefeiert.«
Willi Herren starb am Dienstag, die Todesursache ist noch ungeklärt. Er wurde 45 Jahre alt.
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