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John le Carré: Für mich immer noch: Sir David - ZEIT ONLINE

Dieser Text ist eine persönliche Erinnerung. Lesen Sie hier unseren Nachruf mit Würdigung von Autor und Werk.

Ich erinnere mich an die Amphore, ein exquisites Etablissement unweit der Hamburger Reeperbahn, wo John le Carré Material sammelte für seinen Roman Tinker Tailer Soldier Spy und wo ein nacktes Wesen sich auf seinen Schoß drängelte und er Mühe hatte, sich Notizen zu machen. Der Leiter der Davidswache hatte mir vorsorglich versichert, er würde ein wachsames Auge auf den Engländer werfen lassen. Es funktionierte, die Damen ließen mich in Ruhe.

Das war in den Siebzigerjahren. Wir lernten uns schon früher kennen, als er in Bonn und dann in Hamburg auf Posten war, was heißt als Schlapphut für den britischen Nachrichtendienst Spion spielte. Alles begann in London, wo ich mit drei jungen Kollegen auf Einladung des Foreign Office das Land kennenlernen sollte. Unser Bärenführer war David Cornwell, ein wenig älter als wir. Sein Deutsch war makellos, er war von einer großen Herzlichkeit und mit Geduld und viel Humor erklärte er uns, wie Engländer ticken.

Ich brauchte dringend ein Hemd. David, ich nannte ihn stets Sir David, begleitete mich und fortan, in vielen seiner Briefe tauchten Hemden auf. Seinen letzten begann er: "Ich kaufe Hemden, daher muß ich annehmen, dass ich lebe."

An dem letzten Abend in London erzählte er mir, dass er auch schreibe. Morgens, bevor er ins Büro gehe, sitze er zwei Stunden am Schreibtisch, bringe gerade einen Roman zu Papier. Typisch, jeder, der einen Journalisten trifft, muss erklären, dass auch er schreibt. Ich dachte an die schreibenden Hausfrauen aus Blankenese, die die Redaktion mit ihren überflüssigen Manuskripten nervten. Wenig später war ich dann doch beschämt. Davids Der Spion, der aus der Kälte kam, den er unter seinem Pseudonym John le Carré veröffentlichte, war ein Meisterwerk geworden.

Seinen Schlapphut ließ er in der Garderobe und schrieb fortan. Mit den deutschen Übersetzungen seiner Bücher war er wohl nicht immer einverstanden. Gelegentlich musste ich etwas gegenlesen und als ich einmal auf seinem Schreibtisch im Hotel Atlantic – er war öfters in Hamburg – eine Übersetzung las, staunte ich über seine Redigaturen. Er hatte in der Schweiz Deutsch gelernt und kannte unsere Klassiker.

Ich erinnere mich an viele seiner Besuche in Hamburg. Hin und wieder arrangierte ich ein größeres Essen, wozu dann Freunde kamen, die seine Bücher liebten. Gina Thomas war dabei, die später in der FAZ klug und einfühlsam über ihn schrieb. Er selbst genoss diese Treffen, wohl auch weil wir ihm zu gerne zuhörten, wenn er britische Politiker unnachahmlich nachahmte. Premier MacMillan hatte es ihm besonders angetan.

In seinem A Most Wanted Man machte sich David den Spaß, einem alternden Banker meinen Vornamen zu geben, Haug von Westerheim, "Old Haug". Der hockt natürlich im Anglo German Club, ein Glas Champagner in der Hand, ein "septuagenarian fleetowner, power broker, Anglophile and wit..."

Es war 1978. Hamburgs oberster Verfassungsschützer Hans Josef Horchem gab für John Barron ein Abendessen. Barron, ein Amerikaner, hatte ein Thema, den sowjetischen KGB. Da David gerade in der Stadt war, fragte ich Horchem, ob ich ihn mitbringen dürfe. Der Anfang des Abends war frostig. Barron war nicht belustigt, auf John le Carré zu treffen, der ein Buch von ihm in einer Rezension total verrissen hatte. Aber viel Wein löste die Stimmung und Hamburgs ehemaliger Bürgermeister, Herbert Weichmann, fand den "langen Engländer eine wahre Erholung".

Es blieb nicht aus, dass wir, älter werdend, über das Alter nachdachten. Einmal schrieb er: "In Sachen Alter: George Melley, Jazz König Schriftsteller, Geniesser jeder Art, neulich gestorben, hat geschrieben: Losing my libido was like being unchained from a maniac." David beendete den Brief: "God save maniac."

Natürlich sprachen wir über den Brexit. Ihn bedrückte die Lage in seinem Land. "Überdrüssig" sei er, schrieb David. "But never forget: many, many of us are Europeans, first, and Brits second. My Grandmother, thank God, was born in southern Ireland. I had applied for an Irish passport."

David, der am Samstag verstorben ist, gehört zu den Menschen, die in meiner Erinnerung einen festen Platz haben.

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