ARD-Sonntagskrimi: Der Rostock-»Polizeiruf« im Schnellcheck - DER SPIEGEL
Sehnsucht an der Schmerzgrenze, Kapitalismuskritik mit der Wumme: Der »Polizeiruf« zeigt eine ausgebeutete Seele auf dem Rachefeldzug. Beste Medizin gegen die Corona-Lethargie.
»Polizeiruf«-Ermittler König (Anneke Kim Sarnau) und Bukow (Charly Hübner): Wie viele Banker bringt Sabine noch um?
Foto: Christine Schroeder / NDR
Das Szenario:
Komasaufen und Klassenkampf rund um Rostocks Docklands: Die Arunia-Werft steht kurz vor der Abwicklung, weil sie den Investoren nicht genug Rendite abwirft. Kantinenkraft Sabine (Luise Heyer), die als Aufstockerin auf der Werft arbeitet, beginnt nach einem Tag der Demütigungen mit der Bewaffnung. Bukow (Charly Hübner) und König (Anneke Kim Sarnau) haben noch einen schweren Kater von dem Besäufnis, das sie zu Ehren von Bukows frisch verstorbenem Vater veranstaltet haben. Mit dickem Schädel zählen sie die Leichen, die Sabine auf ihrem Rachefeldzug hinterlässt.
Der Clou:
Mitgefühl für eine Mörderin. »Sabine«, so der schöne Titel dieses »Polizeirufs«, ist eine hochambivalente Angelegenheit, denn das Publikum wird über Strecken rigoros in die Perspektive der Täterin gezwungen. Die begeht ihre Bluttaten nicht im Affekt, sondern um Genugtuung zu erfahren. Abel Ferraras Selbstermächtigungsklassiker »Die Frau mit der 45er Magnum« aus dem Jahr 1981 lässt grüßen. Glanzleistung von Heyer, die zuvor in der Rolle einer Pornodarstellerin im Münchner »Tatort« gezeigt hat, wie man riskante Episodenrollen in riskanten Sonntagskrimis souverän absolviert.
Luise Heyer als Sabine: riskanter Auftritt, würdevoll absolviert
Foto: Christine Schroeder / NDR
Das Bild:
Das Leuchten in den Augen von Sabine nach ihrem ersten Mord. Wie glücklich die Gedemütigte auf einmal aussieht!
Der Dialog:
Das Ermittlerteam rätselt darüber, wie es die untergetauchte Sabine aufspüren könnte.
Bukow: »Wo finden wir die?«
König: »Keine Chance. Sabine ist keine Amokläuferin, sie ist eine Serienmörderin. Das heißt, sie tötet nicht beliebig, sie tötet nach ihrem eigenen System.«
Bukow: »Jeder, der für sie ein Arschloch ist, muss sterben.«
Der Song:
»Ohne Dich (schlaf' ich heut' Nacht nicht ein)« von der Münchener Freiheit. »Auf dich, Vadder«, sagt Bukow auf der Saufparty zu Ehren des Toten und reckt den Arm mit dem Schnapsglas in die Höhe, während aus den Boxen dieser hochtourige Sehnsuchtsklassiker läuft. Dann tanzen Bukow und König, als wären sie die letzten Menschen auf der Welt. Discofox kurz vor dem Delirium.
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