
Moderator Klamroth
Foto: ProSieben / Hahn+HartungProSieben hat seit einigen Tagen einen neuen Werbeslogan. Auf das bekannte Sender-Signature-Dingdong folgt der Schwur: »We love to infotain you«. Der erklingt auch in den Werbepausen zu dem neuen Format mit dem Breitwand-Titel »Die ProSieben-Bundestagswahl-Show«, für die Annalena Baerbock zu Beginn durch einen langen Studiogang einlaufen muss, als wäre sie Kandidatin bei »The Voice of Germany«. Man hat Angst, sie würde gleich singen.
Tut sie nicht, aber ein bisschen Rock'n'Roll versucht sie schon zu verbreiten. Geschickter Move der grünen Frontfrau zur Eröffnung: Moderator Louis Klamroth will über den Bahnstreik reden und wie sich das auf die Beweglichkeit in ihrem Wahlkampf ausübt. Baerbock schwärmt von ihrem »Tourbus« und die Stockbetten, in denen sie da alle zusammen auf den langen Überlandtouren abhängen.
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Als Chefin einer automobilskeptischen Partei dabei erwischt zu werden, den Wahlkampf mit einem amtlichen Nightliner zu bestreiten, um dann Bilder irgendwo zwischen Bandbesäufnis und Klassenfahrt zu evozieren – darauf muss man erst mal kommen.
Nun ist auf ihrer Tour bislang nicht alles glattgelaufen für Baerbock. Aber die neuen Möglichkeiten der Selbstdarstellung, die sich dadurch bieten, dass die Privatsender Politik als Thema entdeckt haben, konnte sie bislang viel besser nutzen als ihre beiden älteren Mitbewerber ums Kanzleramt.
Sie war die Erste, die sich bei ProSieben als Kanzlerkandidatin präsentierte – und verbuchte dabei die mediale Aufmerksamkeit, der der erste große Polittalk-Einsatz des Privatsenders mit sich brachte, zu ihrem Vorteil. Sie war die Erste, die Mitte August bei dem neuen Gesellschaftsmagazin von Jan Hofer bei RTL zu Gast war – und nutzte dabei die Staksigkeit des Moderationsneulings Hofer, um unhinterfragt Nullaussagen von sich zu geben. Und bei dem Triell bei RTL war sie am Sonntag die Einzige, die offenbar verstand, dass sie da bei einem Familiensender war, weshalb sie viele ihre Forderungen aus ihren Erfahrungen als Mutter ableitete.
Für ProSieben hat Baerbock jetzt noch mal ihre Ansprache justiert. Als Klamroth fragt, wie oft sie eigentlich besoffen gewesen sei, als sie mit 17 und 18 Jahren nach einer durchzechten Nacht morgens um fünf hinter dem Tresen eines Bäckers gejobbt hat, schwört sie: »Nie!« Und lacht dann dreckig, als ob das Gegenteil wahr wäre. An alle Abiturientinnen da draußen: Ich bin eine von euch.
Keine frohe Botschaft für den Mittelstand
Der Bäckerchef von damals sitzt sogar im Publikum, die Wiedersehensfreude ist groß. Aber als Klamroth die beiden dann später ins Gespräch miteinander bringt, ist für Nostalgie kein Platz. Denn der Bäcker hat ein Anliegen mitgebracht, er will über den von den Grünen und der SPD angestrebten Mindestlohn von zwölf Euro reden, der seine Branche vor erhebliche Probleme stellt. Der Mann argumentiert sehr kleinteilig, Baerbock kann nur kontern, indem sie allgemein darauf verweist, dass Billigprodukte gekennzeichnet werden müssten, um Qualitätsprodukte wie die des Bäckers herauszustellen, damit sie sich teurer verkaufen lassen können und die steigenden Löhne bewältigt werden können. Nicht so eine richtig frohe Botschaft für den Mittelstand.
Das kleine Wiedersehen von Baerbock und dem Bäcker zeigt ganz gut die Strategie hinter der »Bundestagswahl-Show«: Erst wird gekumpelt, dann konfrontiert. Moderator Klamroth kultiviert da eine gute Art von salopper Härte. Einmal kommt er auf Baerbocks schwieriges Buch zu sprechen und sagt ironisch: »Ich habe es verschlungen.« Um dann die Kalenderspruchhaftigkeit ihrer Sprache zu monieren. Dann präsentiert er eine Auswahl an Kalendersprüchen und fragt Baerbock, ob sie wisse, welcher davon aus ihrem Buch stamme. Weiß sie natürlich und schämt sich nicht mal dafür.

Moderator Louis Klamroth in der »ProSieben-Bundestagswahl-Show«
Foto: André Kowalski / dpaTrotz solch launiger Sticheleien kommt die »Bundestagswahl-Show« über Strecken erstaunlich sachlich daher, die Information in dem Wort Infotainment wird hier großgeschrieben. Die Show ist viel weniger Kanzlerinnen-castig und viel mehr Town-Hall-Meeting als anfänglich angenommen. Die Auswahl der Fragestellenden und in welcher Reihenfolge sie von Klamroth abgerufen werden, hat zum Teil was Perfides.
Wenn Ranschmeiße danebengeht
Einmal wird Baerbock mit einer Erstwählerin konfrontiert, die täglich aus ihrem abgelegenen Dorf 40 Kilometer mit dem Auto zur Uni fährt und wieder zurück – sie klagt darüber, dass die von den Grünen geforderte Verteuerung der Spritpreise sie vor unlösbare Probleme stellen. Baerbock versucht es mit einer Ranschmeiße und berichtet, wie sie als Landei in jungen Jahren das bei dem Bäcker verdiente Geld sofort in Benzin investiert habe, weil bei ihr damals auch keine Busse oder Bahnen fuhren. Hilft aber nichts, das Hohelied aufs Elektroauto, das sie im Anschluss anstimmt, will bei der PS-Studentin nicht verfangen.
Gleich darauf dann die nächste Erstwählerin, die aber das genaue Gegenteil wie ihre Vorrednerin fordert: Sie will, dass die Grünen in ihrer Klimapolitik konsequenter werden. Baerbock versucht es wieder mit Ranschmeiße, zumal ihr die junge Frau, die bei Fridays for Future aktiv ist, weltanschaulich doch nahe stehen müsste. In einem langen Vortrag erörtert Baerbock, weshalb die Grünen in Klimafragen agieren, wie sie agieren. Klamroth sagt: »Für mich klingt das wie: ›Will ich ja, kann ich aber nicht.‹«
Am Ende hat Baerbock die Autostudentin so wenig überzeugt wie die Umweltaktivistin. Auf die Frage, ob sie der Politikerin bei der Wahl ihre Stimme geben, verweigern beide die Antwort. Man sollte die neuen Politarenen der Privaten, wo alles soft und verspielt daherkommt, nicht unterschätzen. Das Leichte kann so schwierig sein. Das Kanzleramt ist für Baerbock trotz Zielgruppenjustierung am Mittwochabend nicht unbedingt nähergerückt.
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